Berolina steigt in die Landesliga auf

Als ich vor mittlerweile fast 18 Jahren zu Bero kam, faszinierten mich (neben dem Spiel an sich) vor allem die unzähligen Aushänge, Tabellen, Statistiken und DWZ-Listen an den schwarzen Brettern. Genug Lesestoff für einen Anfänger wie mich, um Woche für Woche neue Motivation zu sammeln und die Phantasie gehen zu lassen.

Die Giganten der ersten Mannschaft (schon damals Martin, Roland, Wolfgang, Thomas) mit ihren "exorbitanten" Wertungszahlen blitzten schneller als ich denken konnte und redeten dabei offensichtlich - heute würde ich eher "scheinbar" sagen - zusammenhangloses Zeug. Währenddessen saß ich, den ersten Erfolgserlebnissen auf der Spur, am Katzentisch und suchte nach Springergabeln oder anderen einzügigen Gemeinheiten, die ich für den Gipfel der taktischen Finesse hielt und die von meinem Gegner unmöglich durchschaut werden konnten.

Roland war es, der mich zu Bero manövrierte. Jahre zuvor, wir waren beide 13 oder 14, hatte ich einen folgenschweren Fehler begangen. Auf irgendeiner Klassenfahrt, wir lagen in unseren Doppelstockbetten, forderte ich ihn zu einer Partie Schach heraus. In der unteren Etage starrte ich orientierungslos das Brett an und suchte nach Zusammenhängen. Während Roland von oben regelmäßig und ohne eine Spur von Anstrengung oder gar Zweifel im Tonfall Züge nach unten durchgab, zählte ich mit den Fingern ab, welches Feld denn nun "g5" sein könnte. Er spielte blind und las dabei ein Buch. Ich weiß nicht mehr, wie kurz (in Zügen) die Partie wurde. Meine Erinnerung daran sollte bleibend sein und war nicht unmaßgeblich verantwortlich dafür, dass ich 1994 bei Rolands Verein, bei Bero aufschlug.

Die Aufstellung unserer ersten Mannschaft in der abgelaufenen Saison (mit Roland am ersten und mir am achten Brett) war auch deswegen für mich etwas ganz Besonderes.

Nominell hatten wir ein starkes Team, waren Mitfavorit auf den Aufstieg. Die praktizierte Idee, von vornherein einen Ersatzmann fest in die erste Mannschaft zu integrieren, fand anfänglich nicht nur Fürsprecher. Auch mir behagte der Gedanke nicht, Potenzial für die nachfolgenden Teams a priori kaltzustellen. Im Nachhinein muss ich mich revidieren. Dem Geist der Mannschaft hat es ungeheuer gut getan, denn niemand hatte ein Identifikationsproblem. Jeder von uns wusste, dass er kein Lückenbüßer sein sollte, sondern verlässlicher Teil der Mission.

Unsere erste Bewährungsprobe sollten wir in Runde 4 überstehen. Nach 3 ungefährdeten Auftaktsiegen, in denen wir ordentlich Brettpunkte sammeln konnten, ging es nun zum Mitfavoriten Queer Springer. An den Brettern 1 bis 4 nicht zu viel stehen lassen, hier warteten DWZ-Monster auf uns, hinten mussten wir punkten. Das war der Plan. Nach 4 Stunden Spielzeit war klar, Roland und Martin haben die beiden 2300er neutralisiert, vorne steht es 2-2. Stefan hat an Acht gewonnen, ich nicht verloren. Wir brauchen noch einen Punkt. Yosip hat ein besseres Turmendspiel und Thomas optischen Vorteil, weil seine Gegnerin in erster Linie darauf bedacht war, am eigenen Strafraum zu spielen und zu mauern. Dann das böse Erwachen: das Turmenspiel ging verloren, und Thomas musste notgedrungen eine Qualität geben, um nicht unmittelbar auf Verlust zu stehen. In einer dramatischen Schlussstunde waren es dann Thomas' beharrliche (wäre er nicht so cool gewesen, müsste ich "verzeifelte" sagen) Versuche, die Stellung irgendwie am Leben zu halten, die seine Gegnerin zusammenbrechen ließen. Wir holten den wichtigen vollen Punkt und somit: Mannschaftssieg und noch immer weiße Weste!

Der Rückschlag folgte unmittelbar. Nach den ersten 2,5 Stunden bei Eckbauer in Runde 5, standen wir nirgendwo schlecht und an 3 Brettern zum Teil klar besser. Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Kollektives Aussetzen? Baldrian im Kaffee? Es folgte Auto-Destruktion in höchster Konsequenz. Yosip verlor von jetzt auf gleich, weil er sich veropferte. Roland überschritt die Bedenkzeit, nachdem er kurz zuvor noch das Brett komplett dominiert hatte, Stefan manövrierte sich quälend langsam aber stetig in die Niederlage und ich verwandelte einen Mehrbauern in eine totale Verluststellung. Das war's wohl mit der Landesliga. Empor gewann erneut, wenn auch knapp und mit etwas Dusel. Unsere Aufstiegsträume schienen geplatzt.

Hoffnung dann in Runde 6. Gegen stark aufspielende Königsjäger, erkämpfte Yosip trotz Minusfigur ein ganz wichtiges Remis, während Stefan seine Gewinnversuche (mit Minusqualität!) anschließend unverzüglich einstellte, um den knappen Mannschaftssieg zu sichern. Wolfgang war erneut nicht zu stoppen und notierte nun bei 5,5/6! Als wir nach dem Kampf im "en passant" eintrafen, wussten wir noch nicht, dass Empor uns durch eine unerwartete Niederlage bei Friesen wieder zum Tabellenführer gemacht hatte. Wir bekamen unsere zweite Chance. Jetzt mussten die beiden nächsten Kämpfe hoch genug gewonnen werden, um unseren Brettpunktevorsprung zu verteidigen. Nur so könnten wir bei Empor im finalen Satz zum Aufstieg mittels Mannschaftsremis aufschlagen.

Kein Stolpern, keine Aussetzer, kein Baldrian, niemand verschläft die Zeitumstellung, wir gewinnen zweimal souverän und stehen ganz kurz vor dem Aufstieg in die Landesliga. Irgendwas ist anders als in den Jahren zuvor, denke ich. Fühlt sich gut an.

Katja hatte uns den Aufstieg versprochen und nun hielten wir ihn schon fast in der Hand. In den folgenden Wochen galt es, zu entscheiden, wer im Finale aussetzt. Alle wollten spielen, niemand scheute die Herausforderung. Wir spekulierten über die Besetzungsoptionen des Gegners. Was ist wahrscheinlich, wie stellen wir uns dagegen am besten auf? Mails wurden geschrieben. Datenbanken kopiert, Referenzpartien verschickt. Letztlich entschied das Team und es traf Yosip, er musste im Finale auf die Bank. Eine harte Entscheidung, natürlich. Gerade für einen so leidenschaftlichen Schachspieler wie Yosip. Hinzu kam eine latente Befürchtung, ihm die Gründe wegen der sprachlichen Barriere, evtl. nicht richtig vermitteln zu können (Danke an Martin für seine offensichtlich erstklassigen Übersetzungsdienste!).

Umso begeisterter war ich, als ich am Morgen des 29.04. am Jahn-Sportpark stand und Yosip begrüßte. Er war als Zuschauer gekommen, um 8.35 Uhr!

9 Uhr, Anpfiff! Empor spielte nicht ganz wie erwartet, völlig überrascht wurden wir aber auch nicht. Ganz vorn musste Roland gegen Aron Moritz (8/8!) bestehen, an Zwei saß IM Urban, an Drei der bärenstarke FM Kimpinsky (7/8) usw. Zu den einzelnen Partieverläufen kann ich wenig konkretes berichten, nur sporadisch habe ich sie verfolgen können. Nach ca. 2 Stunden schienen jedoch alle im Soll zu sein. Ich meine, Martin konnte dann als Erster ein Ergebnis fixieren. IM Urban spielte mit einem Turm (und Bauern?) gegen 2 Figuren und fügte sich ins Remis. Dass wir an den beiden vorderen Brettern nicht nullen, war substantieller Teil des Aufstiegsplans. Und es sah ganz gut aus.

An Eins kündigte sich zwar eine Zeitnotschlacht an, als beide Spieler für ca. 18 Züge ungefähr 1h 40min verbraucht hatten, aber das musste kein Nachteil für uns sein. Roland ist nervernstark.

Mittlerweile war Thomas recht unzufrieden mit seiner Stellung und sprach bereits von Verlust. Auch bei Stefan zogen bedrohliche Wolken auf. Sein c6-Bauer würde irgendwann umsonst kassiert werden. Thilo hatte seine Partie im Griff und stand vielleicht sogar etwas besser. Wolfgang spielte wie versprochen auf Gewinn und Katja hielt mit Schwarz die Balance in einem Königsinder.

Auch ich fühlte mich noch ganz wohl, objektiv war die Stellung vermutlich ausgeglichen. Das sollte sich später ändern. Ein zweifelhafter Plan verschaffte mir zwar einen Mehrbauern. Der Preis dafür war jedoch ein mächtiges schwarzes Bauernzentrum und Passivität.

Mein nächster Rundgang durch den Saal eröffnete dann den Blick auf ein Brett Eins, auf dem die Figuren in der Ausgangsstellung standen. Mit weißem König auf e4! Roland hatte gewonnen. In der Hektik vor der näher rückenden Zeitkontrolle hatte er, wie ich später erfuhr, den Überblick behalten und eine Figur gewonnen. 1,5 - 0,5.

Stefan stand mittlerweile auf Verlust. Seine Konsolidierungsversuche wurden von Hansi Meißner gnadenlos erstickt. Hier war es eine Frage der Zeit, wann wir die Null quittieren müssten.

Katja akzeptierte in ausgeglichener Stellung ein Remisgebot. Mit Schwarz im Königsinder Gewinnversuche zu unternehmen, hätte wahrscheinlich schärfstes Spiel und Materialschlacht bedeutet. Eine zweischneidige Sache in dieser Phase des Kampfes. Doch nachdem sich jetzt leider auch bei Thomas die drohende Niederlage konkret abzeichnete, mussten wir noch irgendwo gewinnen. 2,0 - 1,0

Dann Ernüchterung an meinem Brett. Der Plan, die schwarze Bauernphalanx mittels Qualitätsopfer zu stoppen, um dann die eigenen verbundenen Freibauern laufen zu lassen, hatte erhebliche Löcher. Ich stehe platt, das wurde mir schnell klar. Noch sechs Züge bis zur Zeitkontrolle, konkrete schwarze Drohungen, ein Freibauer auf d3 und kein Gegenspiel. Damenverlust droht. 39. Zug, letzte Falle. Lass ihn Lxf2 spielen, bitte! Danke. Mit dem 40. Zug entwischt. Thomas musste 2 Bretter weiter aufgeben, ich ging rauchen. 2,0 - 3,0 (auch wenn Stefan noch 30 Minuten weiterspielte).

So sehen Aufsteiger-Stellungen aus. Schwarz am Zug. Klar, dass Weiß die Partie gewinnen wird.
So sehen Aufsteiger-Stellungen aus. Schwarz am Zug. Klar, dass Weiß die Partie gewinnen wird.

Inzwischen waren etliche Kiebitze von Bero und Empor eingetroffen und umlagerten die 3 verbliebenen Bretter. Draußen wurde mir klar, dass ich jetzt zwar glücklich eine Figur gewonnen hatte, die Gewinnführung aber absolut nicht trivial war. Entsprechend nahm ich mir für den 40. Zug fast 20 Minuten Bedenkzeit, um dann doch fehlzugreifen. Den Gewinnzug hatte ich zwar gesehen, aber nicht als solchen erkannt, weil ich keine Fortsetzung sah, die die gegnerische Drohungen, seinen Freibauern zu verwandeln oder die Figur zurückzugewinnen, gleichermaßen entkräftete. So jedoch konnte Schwarz nun Material zurückholen, ja er hätte sogar forciert remisieren können.

Ausgangs der fünften Stunde remisierte auch Thilo und Wolfgang brütete über einem Turmendspiel, das verheißungsvoller aussah, als es war. Auch in der nachträglichen Analyse konnte wohl kein forcierter Gewinnweg gefunden werden.

Mein Gegner tat mir den Gefallen, die Remisvariante nicht zu finden. Stattdessen landeten wir in einem Damenendspiel mit Mehr-/Freibauern für Bero. Wolfgang teilte seinen Punkt und 3,0 - 4,0.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und ca. 20 weiteren Zügen war dann klar, der Freibauer trug die sprichwörtlichen goldenen Hosen und sicherte uns gegen 14.20 Uhr den Aufstieg in die Landesliga.

...und so sehen Aufsteiger aus (Leider ohne Yosip. Er war schon auf dem Heimweg).

Fazit

Über die Saison haben wir insgesamt eine erstklassige Mannschaftsleistung abgeliefert. Niemand hat das Ziel aus den Augen verloren, auf jeden war zu jeder Zeit Verlass. Dafür von mir als ML noch einmal ein riesengroßes Dankeschön, so macht es Spaß. Und auch wenn es im Finale nicht ohne Glück ging, ist der Aufstieg - so unbescheiden bin ich - absolut verdient.

Frank Kimpinsky hat auf der Website von Empor Berlin ebenfalls einen kleinen Bericht mit dem etwas wehmütigen Titel "Die Unaufsteigbaren? Und wieder hat es nicht gereicht..." veröffentlicht. Auch ein paar Fotos des Abschlusskampfes sind dort verlinkt.

PS. Thomas hat mich korrigiert. 1994 hat er noch nicht in Beros Erster gespielt. Meine Erinnerung war eine andere. Zusammenhangloses Zeug hat er bestimmt auch damals schon geredet. Und 6,5/8 in der BMM geholt.

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